Da sitzt sie also. Ganz entspannt und lässig lehnt sie am Notenständer und mustert mich. Ich winde mich unbehaglich. Heute schaue ich aus wie der wandelnde Tod, huste, habe kaum eine Stimme und wenn doch, dann nur eine sehr tiefe.
„Ich dachte, du bist krank?“, beginnt meine Muse.
„Mhmmm!“, brummle ich.
„Und dann bleibst du gestern so lange fort?“
„Hat sich so ergeben … es war so gemütlich … und überhaupt … das bisschen Halsschmerzen!“
„Das Video habe ich übrigens auch gesehen. Das, wo du gerade Tulpen aus Amsterdam vorspielst!“, redet sie weiter und zieht missbilligend eine Augenbraue hoch. Fährt fort, dass das keine musikalische Glanzleistung gewesen sei und ich eben mehr üben müssste.
„Ich hatte gerade ein großes Bier und zwei Schnäpse intus, ich war nicht ganz griffsicher. Außerdem war das ein spontaner Selbstversuch, wie ich auf echtes Publikum reagiere“, versuche ich mich zu rechtfertigen. Es hört sich eher an wie das langgezogenen Klagen eines Nebelhorns auf hoher See.
Meine Muse lacht mich aus, meint, ich soll nicht herumzicken, diese Handvoll an Kollegen dürfe mich auf gar keinen Fall nervös machen. Doch, entgegne ich, weil mich normalerweise bereits lediglich imaginiertes Publikum die richtigen Töne verfehlen lässt. Aber immerhin würde ich ja an mir arbeiten und diese Sache mit dem Lampenfieber jetzt in Angriff nehmen. Feigheit könne sie mir jedenfalls nicht vorwerfen.
Der Schweinehund steht auch dabei und zitiert den besten Kollegen, der lieber fünf Minuten feig sei als ein Leben lang ein toter mutiger Löwe. Mir entfährt ein „Blödsinn!“ und unwirsch füge ich hinzu, dass man ja mal sehen könne, wo ihn das hinbrächte und Fortschritt und Entwicklung bräuchten eben immer auch eine Portion Mut. Immer auf derselben Stelle treten sei zumindest für mich keine Option. Und wenn es nur etwas so Nichtiges sei, wie vor einer Handvoll Kollegen das Akkordeon zu schultern und ein paar Stücke zu spielen.
Jedenfalls habe ich das Video mittlerweile auch gesehen. Musikalische Glanzleistung war es tatsächlich keine. Es lag am Schnaps! Wirklich! Womit jetzt eigentlich eh auch schon alles wurscht ist. Ist der Ruf erst ruiniert usw… Das findet die Muse wiederum nicht in Ordnung und diktiert mir mehr Übungseinheiten.
Lustig war’s trotzdem. Und einmal etwas Anderes. Und überhaupt scheine ich mit meinem Akkordeon ein Exot unter all den anderen zu sein, die in erster Linie Humta-humta-humtata auf ihrer Steirischen spielen. Meine Versuchskaninchen Mein Publikum hat es gut überstanden, die waren weit weniger streng mit mir als ich selber.
Mir fällt dazu ein Kartenspruch ein, vielleicht sollte ich den mehr beherzigen und mich öfter trauen.
Aber das war doch im privaten Rahmen gewesen oder?
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Ja, war im privaten Rahmen. Und trotzdem. Der öffentliche Rahmen letztens beim Seminar hat mir weit weniger ausgemacht. Aber da habe ich auch nicht alleine gespielt. Seltsame Sache, das…🤔
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Ich finde dieses bewertet werden, wenn Musik in erster Linie zum Selbstausdruck, also zur Freude gespielt wird, echt schwierig. Das kann einem ja jede Kreativität austreiben.
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Die „Bewertung“ geht wohl in erster Linie von mir selbst aus. Und genau das möchte ich gerade angehen. 😊
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Weiter so und gut gemacht! Regine
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