Schreibkick: Die Welt bei Nacht.

„Die Welt bei Nacht ist wunderschön“, sprach die Elfe zur kleinen Maus.

Die noch junge Maus war eigentlich nicht dieser Meinung, denn ihre Welt war bei Nacht ein gefährlicher Ort. Genau genommen war ihre Welt auch bei Tag ein gefährlicher Ort. Aber bei Nacht war sie das Grauen schlechthin. Sie dachte mit Schaudern an die Eule oder den Fuchs, die beide in der Dämmerung auf die Jagd gingen. Überhaupt war die Eule ein schreckliches Ungeheuer, wenn sie lautlos aus der Höhe herabstieß. Sie musste es schließlich wissen, denn sie hatte es selbst erlebt und – was viel wichtiger war – hatte es überlebt. Es war reines Glück gewesen, dass sie nicht ihr Abendessen wurde, damals an jenem Tag, als sie die Zeit übersehen hatten, sie und ihr Bruder. Die letzten Sonnenstrahlen waren gerade hinter die Bäume gefallen und die beiden huschten rasch durch den Wald. Aber dass die Gefahr auch von oben kommen könnte, daran hatten sie nicht gedacht. Als sie das leise „Whoosh“ hörte, war die Eule schon neben ihr und packte ihren Bruder. Er fiepte laut und voller Angst und verschwand irgendwo in der Dunkelheit, davon getragen von krummen kräftigen Klauen. Nein, die Welt bei Nacht war ganz und gar nicht wunderschön.

Doch die Elfe widersprach und meinte, es täte ihr leid, dass die junge Maus so schreckliche Erfahrungen gemacht hätte. Sie wollte ihr zeigen, dass die Nacht auch ganz anders sein konnte. Und so nahm die Elfe die Maus mit zu einem hohlen Baum mitten im Wald. Der hohle Baum sei ihr Zuhause, erzählte sie. Und alle Tiere würden das respektieren, weil sie sich im Gegenzug um sie kümmerte. Sie versorgte kleinere Wunden und wusste gegen viele Zipperlein das richtige Kraut. Sie erzählte den kleinen Tierkindern Geschichten und hörte den großen Tieren zu, wenn sie Kummer hatten. Die Elfe war der gute Geist im Wald.

Zielstrebig stiegen die beiden im Inneren des Baumes in die Höhe, bis sie an einem großen Astloch ankamen. Die Elfe hatte es sich hier gemütlich eingerichtet, eine breite Fensterbank lud zum Verweilen ein. Sogar ein paar Kissen hatten sie hingelegt und eine Wolldecke, falls es einmal kühler sein sollte. Der Maus blieb vor Staunen der Mund offen stehen.
„Du hast es wunderschön hier“, flüsterte sie ergriffen.
Die Elfe freute sich. Sie lud die Maus ein, es sich gemütlich zu machen.
„Schau nur“, zeigte sie weit nach links, „dort drüben geht dann bald der Mond auf. Und er taucht den See in silbern glitzerndes Licht, du wirst schon sehen.“

Die Maus ließ sich behutsam in die Kissen sinken und knabberte gedankenverloren an ein paar Körnern. Sie war gänzlich verzaubert vom Mondschein und den Schatten der Nacht. Sie hörte die Geräusche der Nacht und hatte zum ersten Mal keine Angst. Noch nicht einmal die Eule erschreckte sie, als diese vorbeiflog. Die würdigte sie noch nicht einmal eines Blickes.
„Glaubst du“, fragte die Maus, „die Eule hat mich heute übersehen?“
„Ach nein“, lachte da die Elfe, „du solltest dich auch weiterhin in Acht vor ihr nehmen. Nur hier in meinem Baum dürfen alle Tiere in Frieden beisammen sein. Wie du siehst, es ist der höchste Baum in der Umgebung und nirgendwo hat man einen besseren Ausblick. Manchmal ist die Eule ein wenig neidisch, weil sie von hier aus so gut jagen könnte. Aber auch sie muss sich an die Regeln halten.“

Ganz verwundert hörte die Maus die Elfe erzählen, während sie das Glitzern des Sees bewunderte und den Sternen zusah, wie sie um die Wette funkelten. Hier war sie sicher und brauchte keine Angst zu haben. Solange die Elfe hier bei ihr war, konnte sie sich diese Welt ansehen, ohne immer auf Gefahren achten zu müssen. Ja, so war die Welt bei Nacht wirklich wunderschön.

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Der Schreibkick ist ein Projekt von Sabi Lianne.

Mitgemacht haben:
Nicole
Rina
Corly
Sabi Lianne

Das Thema für den 1. April lautet: Im Spiegel.