Etüdensommerpausenintermezzo I/18 – Der Unterwasserkönig 1/4.

Endlich ist es soweit. Die abc-Etüden gehen in die Sommerpause. Aber natürlich bleiben wir nicht gänzlich unbeschäftigt. Gleich 15 Wörter gibt es diesmal, die Christiane in den letzten Wochen gesammelt hat. Aus diesen sind mindestens 10 auszuwählen und eine Geschichte zu schreiben. Die Länge ist diesmal egal, nur eine Lied- oder Gedichtzeile sollte enthalten sein. Und zwei Wochen sind dafür Zeit, statt wie üblich nur eine.

Ach ja, und die Illustration kommt wie üblich von Ludwig. Danke dafür!

Ich bin so aufgeregt!

Sommeretüdenintermezzo 2 | 365tageasatzaday

Lara stand vor einem Dilemma, denn sie hatte nach ihrer Verurteilung eine Fussfessel verpasst bekommen. Das alleine wäre ja noch zu verschmerzen gewesen, immerhin hatte sie eine schöne Wohnung ganz oben in einem Hochhaus in ruhiger Lage mit einer riesigen Terrasse, die so weitläufig war, dass man kaum noch merkte, dass es kein Garten, sondern im Grunde ein Balkon war. Natürlich war ihr und auch ihren Freunden klar, dass sie selbst sich so eine exklusive Wohnung niemals hätte leisten können, wenn nicht ihr Freund oder Gönner oder wer auch immer es war ihr diesen Luxus finanziert hätte. Lara hielt sich diesbezüglich sehr bedeckt und lenkte gerne ab, wenn die Rede auf die Finanzierung ihrer Wohnung kam und auf ihren Job, der ihr nicht so viel Geld einbrachte, um einen derartigen Lebensstil pflegen zu können. Hinter ihrem Rücken wurde gemunkelt, dass der Unterwasserkönig seine Finger im Spiel hätte und manch einer meinte zu wissen, dass sich Lara dessen Gunst durch besondere Fähigkeiten erschlichen hätte. Einige Neider sagten gar offen, sie müsse sich Zuneigung und Wohnung wohl erschlafen haben, denn der Unterwasserkönig war bekannt als klar denkender und weitgehend emotionsloser Geschäftsmann aus der Unterwelt.

Aber jetzt war da erst einmal diese unangenehme Sache, dass Lara die Fussfessel tragen musste und im Grund die Wohnung nicht verlassen durfte, aufgrund einiger Widrigkeiten und Verzögerungen ihres Gerichtstermins aber eine Räumungsklage am Hals hatte. War das nicht ein Witz? Hausarrest und delogiert werden! Sie lachte humorlos vor sich hin.

Schon ihre Verhaftung und die Verurteilung an sich waren eine Farce. Es war ein unbedeutendes Biedermeierschränkchen, das sie gestohlen hatte. Dessen Wert stand in keiner Relation zu dem, was der Unterwasserkönig zur gleichen Zeit durchzog. Und sie wusste genau, dass dieser Auftrag, den er ihr da erteilt hatte, nichts Anderes war als ein Ablenkungsmanöver. In seiner Durchführung übertrieben minutiös geplant und aufgebauscht, wo sie doch nur hineingehen zu brauchte und es mitnehmen musste. Dass sie dabei erwischt wurde, verstand sie bis heute nicht. Ebensowenig konnte sie nachvollziehen, warum die Verhandlung so seltsame Verläufe genommen hatte und dann mit einer derart hohen Strafe endete. Ein bescheuertes Biedermeierschränkchen und dann eine derart überzogene Freiheitsstrafe! Womöglich wurde von ihr jetzt auch noch erwartet, dass sie sich für die Fussfessel bedanken sollte.

Lara versuchte vergeblich, den Unterwasserkönig zu erreichen. Denn er würde ihr mit seinen Beziehungen ganz sicher da heraus helfen können. Doch er war wie vom Erdboden verschluckt. Keine Spur von ihm! Das machte sie sauer. War er bisher immer für sie da gewesen, hatte sich das seit der Biedermeierschränkchensache von Grund auf geändert. Er hatte sie sein bestes Pferd im Stall genannt, was ihr damals geschmeichelt hatte. Aber jetzt ärgerte sie sich nur noch darüber. Sie war wirklich unglaublich naiv gewesen.

Der Unterwasserkönig! Was für ein Mann! Charismatisch. Willensstark. Mit einem Hauch des Bösen an sich. Sie war sofort fasziniert gewesen, als sie ihn bei einem Tanztee kennen lernte. Sie war in ihren Highheels über den Saum ihres langen engen Federkleides gestolpert, als sie vom Buffet zurück zu ihrem Tisch wollte. Ein Federkleid musste es sein und es war an Extravaganz nicht zu überbieten. Sie sah so heiß darin aus. Nur bewegen konnte man sich kaum damit.

Es kam, wie es kommen musste: Die Sachertorte auf ihrem Teller war ihr entglitten und in hohem Bogen nach vorne geflogen und hatte seinen Anzug ruiniert. Sie lachte heute noch darüber, wie kitschig diese Szene doch damals war. Wie aus einem schlechten Schnulzenfilm. Und ganz entgegen ihrer Absicht hatte sie die Liebe ereilt. Dass das schnell ein schlechtes Ende nehmen könnte, war ihr damals schon klar. Sicher, sie war kein Kind von Traurigkeit. Sie war eine kleine Gaunerin, hier ein kleiner Job, dort ein Geschäft, aber all den Firlefanz, den sie so mochte, konnte sie sich damit niemals leisten. Es war also trotz aller Liebe zu diesem undurchsichtigen Unterwasserkönig letztlich auch eine eiskalte Kosten-Nutzen-Rechnung von ihr. Und eben diese schien sich im Verhältnis verschoben zu haben.

Sie musste etwas unternehmen. Irgendwie schaffte sie es, die Räumungsklage abzuwenden. Aber dabei kam sie Machenschaften auf die Schliche, gegen die diese lästige Fussfessel und die Räumungsklage bestenfalls Luxusprobleme waren. Anscheinend war das beste Pferd im Stall gegen ein noch besseres ausgetauscht worden und der Unterwasserkönig wollte sie loshaben. Nach außen hin gab sich Lara gelassen und unwissend, aber innerlich kochte sie vor Wut und würde diese Kränkung nicht einfach so hinnehmen. Diese zaundürre Bohnenstange von einem Callgirl war jetzt an seiner Seite. Und sie sass hier fest mit dieser verfluchten Fussfessel. Obwohl, vielleicht konnte sich die sogar noch als nützlich erweisen …

Der ermittelnde Beamte, der ein paar Tage später den Mord an einem reichen Geschäftsmann einer Fischkonservenfabrik aufklären sollte, stand jedenfalls vor einem Rätsel. Offensichtlich war der Mann mit einem einzigen Schuss eines Scharfschützen getroffen worden. Und zwar vom Glockenturm aus, direkt unter der Kirchturmspitze der nahe gelegenen Kirche zum Heiligen Nikolaus. Was sich an Ironie kaum überbieten ließ, war und ist doch der Heilige Nikolaus der Beschützer der Diebe und Verbrecher. Und der Ermordete war ringsum bekannt als hochrangiger Drahtzieher in der Unterwelt, doch man konnte ihm bisher nichts nachweisen. Aber das war jetzt ja hinfällig. Das Problem hatte sich quasi von selbst gelöst.

Allerdings war ihm unerklärlich, wieso er ausgerechnet einen Ohrring am Fenstersims des Tatortes fand. So, als hätte ihn jemand abgelegt, um ungehindert eine Waffe bedienen zu können, und unvorsichtigerweise dort vergessen. Jene Waffe, die später am Grund eines nahe gelegenen Baggersees gefunden wurde. Dort gehörte laut Lara eigentlich der Unterwasserkönig hin, sagte diese wenig freundlich zum Sonderermittler. Natürlich überprüfte er Lara. Aber sie bestritt, den Ohrring zu kennen – vielleicht sollte man einmal die Bohnenstange befragen, mit der der Ermordete neuerdings zusammen war? – und auch die Fussfessel war intakt und offensichtlich nicht manipuliert worden. Lara selbst war zwar eine kleine Diebin, aber nichts deutete darauf hin, dass sie auch noch eine Scharfschützin sein könnte. Warum auch sollte sie ausgerechnet den Unterwasserkönig aus dem Weg räumen wollen? Verschmähte Liebe vielleicht? Ja, der ermittelnde Beamte ahnte, dass sie in den Mord verwickelt war, aber er konnte ihr nichts anhängen.

Lara indes lehnte sich in ihrem tiefen Sofa zurück, rückte die Fussfessel zurecht, schaltete mit der Fernbedienung die Stereoanlage ein und summte zufrieden lächelnd zur Musik: „I can see clearly now…

 

15 Gedanken zu “Etüdensommerpausenintermezzo I/18 – Der Unterwasserkönig 1/4.

  1. Grins. Mir geht es ähnlich wie dem Ermittler: Wie hat Lara das ggf. angestellt, was sie ggf. angestellt hat? Und wie konnte sie die Räumungsklage abwenden? Ist der Unterwasserkönig identisch mit dem Fischkonservenfabrikanten? Ist das der Einstieg in einen Krimi?

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    • Ja, weißt du, liebe Elke, ich weiß auch nicht so genau, wie sich das alles zugetragen hat. Ich habe mir die Geschichte so erzählen lassen und im übrigen weiß ich ja ohnehin nicht, wie es in Gaunerkreisen so zugeht, so als grundsolide ehrliche Frau Vro.
      Wahrscheinlich hatte sie dann doch ein paar hilfreiche Kontakte mehr als den abtrünnigen Unterwasserkönig. *gg*

      Gefällt 1 Person

  2. Die Rache einer verschmähten Geliebten! Was für ein Kurzkrimi! Klar, ich frage mich jetzt, wie um Himmels willen sie das hinbekommen hat, ob sie selbst auf dem Kirchturm war oder ob sie jemandem den Ohrring mitgegeben hat … hach! Gefällt mir wirklich sehr, vielen Dank dafür, ich hoffe, du hattest ebenso Spaß beim Schreiben!
    Liebe Grüße
    Christiane

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  3. Richtig spannend! Nur den Tanztee für große und kleine Gauner sehe ich nicht so richtig vor mir :) Und alle 15 Wörter. Ich hab mir eigentlich auch gedacht, dass der Unterwasserkönig als Hauptwort was hergibt ……

    Gefällt 2 Personen

  4. Herrlich kurzweilig zu lesen und spannend. :-)
    „zaundürre Bohnenstange“ gefällt mir. Da habe ich gleich ein Bild im Kopf… ;-)
    WIe man ein Biedermeierschränkchen mal eben so irgendwo unbemerkt rausträgt, das ist mir ein Rätsel. Aber ich bin ja auch nicht vom Fach. :D

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