Genau genommen ist es schon lange nicht mehr Tag 6 in Jutta Reichelts Schreibwerkstatt. Und genau genommen bringe ich schon seit Tagen irgendwelche erfundenen Figuren in Schwierigkeiten. Nur mag ich alle Ideen gar nicht. Zugegeben ist diese Schreib-Anregung die bisher schwierigste für mich. Dabei sollte es doch ein Leichtes sein, eigene Figuren in (ergiebige) Schwierigkeiten zu bringen.
Zuallererst schwebten mir Dreiecksgeschichten vor, oder eine unerwartete Schwangerschaft. Ich musste auch an Karla denken, die habe ich wirklich in große Schwierigkeiten gebracht. Sie mich übrigens auch, denn rund um Karla fing ich eine längere Geschichte an, baute einen Plot auf und tippte zwölf von ungefähr 23 Kapiteln in wenigen Tagen runter. Dann war die Luft raus. Irgendwo in den Tiefen meines Computers halten sie Dornröschenschlaf.
Aber da Ostern gerade erst vorbei ist, kam mir die Idee mit Theo…
Theo war ein junger Hase. Er hatte lange weiche Ohren und dunkelbraunes Fell. Er war ein sehr hübscher junger Hasenmann. Leider war er auch ein sehr fauler junger Hasenmann. Was in anderen Familien vielleicht nur für Unmut gesorgt hätte, war in seiner Familie ein wirkliches Problem. Er stammte aus einer der angesehensten Hasenfamilie im ganzen Land und täglich predigte sein strenger Vater, dass auch er seinen Teil erfüllen müsste und Verantwortung übernehmen. Theo hielt davon wenig. Und mit der der Jugend ungestümen Art tat er diese Meinung auch kund. Oft kam es daher zum Streit. Theos Vater war bereits drauf und dran, seine Schwester Hilda in die Familiengeschäfte einzuführen, weil auf sie weit mehr Verlass war als auf den missratenen Sohn.
Theo sah sich selbst als Freigeist, als Künstler. Er konnte gut mit Farbe und Pinsel umgehen. Was grundsätzlich gut fürs Geschäft war. Er arbeitete nur, wenn er Lust darauf hatte. Was grundsätzlich ganz schlecht fürs Geschäft war.
In der Zeit vor Ostern herrschte Hochbetrieb bei den Osterhasen. Die ganze Familie war zusammen gekommen, alle halfen mit. Es war eine fürchterliche Plackerei, aber irgendwer erzählte immer lustige Geschichten, es wurde viel gesungen und viel gelacht. Theo fand das furchtbar spießig und verzog sich. Er würde sich irgendwo verkriechen. In der Rumpelkammer vielleicht. Bei dem Gewusle fehlte er ohnehin niemandem …
Ganz so einfach war es dann aber doch nicht. Denn sein Vater hatte ihn in der Rumpelkammer verschwinden sehen. Hatte genau gesehen, wie er sich verstohlen umsah. Wie er sich noch schnell einen der Osterstriezel vom Regal geschnappt hatte und nach Polster und Decke vom Sofa griff. Sein Vater wusste genau, was der Lümmel vorhatte. Leider wusste er auch, dass eine Standpauke nichts bringen würde. Theo würde sich nur in einem anderen Winkel verziehen und Ostern wenn möglich aussitzen. Er fasste einen Entschluss. Mit laut polterndem Schritt ging an der Rumpelkammer vorbei, drehte im Vorbeigehen den Schlüssel um und lachte grimmig in sich hinein. Mal sehen, wie lange es dauern würde, bis sich der arbeitsscheue Hasen-Teenager bemerkbar machen würde.
Theo selbst wusste noch gar nicht, dass er mittlerweile eingesperrt war. Er hatte es sich am Boden mit dem Polster und der Decke gemütlich gemacht, schmauste das Hefegebäck und machte dann ein ausgiebiges Nickerchen. Als er wieder aufwachte, war er völlig desorientiert. Unter der Tür fiel ein schmaler Lichtstreifen auf den Boden, es musste bereits Abend sein. Sein Magen knurrte vernehmlich. Wenn er es sich recht überlegte, wäre morgen Ostersonntag. Dann packten die großen Osterhasen-Männer gerade ihre Körbe und machten sich auf den Weg. Besser, wenn er noch wartete, sonst musste er womöglich mitkommen wie all die anderen Halbwüchsigen, die beim Verteilen der Ostereier für die Kinder halfen.
Er drehte sich auf die andere Seite und schlief noch einmal ein. Was sollte er hier auch sonst machen? Viel später weckte ihn lautes Getrappel auf dem Gang. Verschlafen blinzelte er. Ostern! Ja, freute er sich. Jetzt würde es endlich Frühstück geben, die Tische würden sich unter den Köstlichkeiten biegen. Er sprang auf, drückte die Türklinke und … nichts. Abgesperrt. Er konnte nicht raus. Schon wollte er um Hilfe rufen, aber wie sollte er erklären, dass er augenscheinlich in der Rumpelkammer geschlafen hatte?
Er setzte sich auf die Decke und dachte nach. Wer konnte das gewesen sein? Hin- und hergerissen war er, ob er sich bemerkbar machen sollte. Aber das würde einen schrecklichen Streit nach sich ziehen. Oder sollte er hier ausharren, bis die anderen ihn suchten? Wenn sie lange genug gesucht hatten, würden die Erleichterung so groß sein, dass sie vielleicht aufs Schimpfen vergaßen? Sie würden überlegen, mit wem er beim Verteilen mitgegangen wäre. Ob er irgendwo zwischen den Häusern verloren gegangen wäre. Ob er sich verirrt hatte. Ob ihn vielleicht ein Hund gejagt, verletzt, gar getö… hätte.
Theo tat sich selber sehr leid, wie er sich da vorstellte, dass er vermisst wurde. Er würde noch warten, bis sie ihn wirklich vermissten. Das erhöhte eindeutig die Dramatik. Auch wenn sein Magen herzerweichend grummelte. Er grinste gezwungen. Ein wenig Hunger würde er wohl aushalten müssen.
Draußen vor der Tür stand leise der Hasenvater und horchte. Er war beeindruckt vom Durchhaltevermögen seines Sohnes. Ob man das wohl auch für irgendetwas Nützliches gebrauchen könnte?