AnthoAlice – #2/Erinnerungen.

Alice lädt zu einer Blogparade. Einmal im Monat gibt sie das Thema vor und unsereiner kann dann beitragen, was ihm gerade so dazu in den Sinn kommt. Bis zum 15. Mai war das Thema „ERINNERUNGEN“.

Ein Monat ist ja lang, denkt man sich. Und dann ist der Monat vorbei und der 15. als gewählter Stichtag vergangen und das war’s. Mist! Dabei gäbe es viele Erinnerungen. Ich wüsste gar nicht, wo anfangen. Der 15. Mai als Stichtag ist also längst vorbei, aber wie derzeit öfter mal kugelt da ein halbfertiger Beitrag herum, um den es mir leid täte, müsste ich ihn jetzt ungelesen in den Papierkorb verschieben.

Zum Thema Erinnerungen ist mir seltsamerweise als allererstes eine Schreibübung eingefallen. Eine meiner liebsten Übungen sogar, wenn ich es recht bedenke.
Sie beginnt mit „Ich erinnere mich, …“ Man schreibt die erste echte Erinnerung auf, die einem einfällt. Die nächste Erinnerung betrifft ein Ereignis, das niemals stattgefunden hat und nur der Fantasie entspringt. Danach kommt wieder eine tatsächliche Erinnerung und danach eine erfundene. So geht das zehn Sätze lang.
Hier im Blog habe ich bereits zweimal (hier und hier) meine Erinnerungen gesammelt und jedesmal wieder stelle ich fest, dass die erfundenen Erinnerungen jene sind, die mir am meisten Spaß machen. Vielleicht sind die erfundenen Erinnerungen aber auch jene, in denen man sich selbst heroischer sieht, als man ist, und in denen verborgene Wünsche schlummern.

Meine Erinnerungen werde ich absichtlich nicht durchnummerieren. Ich finde es reizvoll, wenn man alle zehn liest und mittendrin gerade einmal nicht mehr so genau weiß, ob das jetzt eine echte oder eine falsche Erinnerung war.


Ich erinnere mich an jenen Tag, als ich beim Rhetorik-Kurs einen kurzen Text aus Hamlet vorlesen musste; es war, als wäre ich selbst Hamlet, so sehr konnte ich mich in diese Rolle hineinversetzen (das ist die Melodramatik in mir!), sodass unserem Kursleiter regelrecht die Kinnlade nach unten klappte.

Ich erinnere mich auch daran, dass ich im großen Raum der städtischen Bücherei saß und aus meinem neuen Buch vorlas, während die zahlreichen Gäste wie gebannt an meinen Lippen hingen und manch einer aus  meinem engeren Bekanntenkreis einmal mehr staunend den Kopf schüttelte, welch gewaltige Bilder ich in Worte zu fassen vermochte.

Ich erinnere mich, und wieder geht es um Bücher, wie ich ganz entgegen meiner sonstigen Vorlieben in ein gänzlich anderes Genre wechselte und mit „Die neunte Stadt“ einen absoluten Glücksgriff machte, ein Buch, das ich ohne meine wunderbaren Blog-Bekanntschaften wohl niemals gelesen hätte.

Ich erinnere mich daran, die Bekanntschaft von Guylain Vignolles gemacht zu haben, der an einer gewaltigen Schreddermaschine arbeitete und darüber fast den Verstand verlor, weil er Tag für Tag tonnenweise Bücher vernichten musste und nur manchmal konnte er ein paar einzelne Seiten retten, die er morgens in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit laut vorlas. Er ist so ein netter Mensch und ich fahre immer zur gleichen Zeit mit der Bahn, damit ich ihn nicht verpasse, wenn er vorliest.

Ich erinnere mich daran, wie eigenartig ich mich in der Wohnung einer Bekannten fühlte, damals, als wir uns gegenseitig in der Babyrunde besuchten, und wie ich erst daheim erkannte, dass es die fehlenden Bücher waren, die mich so irritiert hatten.

Ich erinnere mich (irgendwie sind es heute vor allem Bücher, denen meine Erinnerungen gelten), dass ich als Bibliothekarin meinen Lebensunterhalt verdiente; was jedoch keiner ahnte, war die etwas abstruse Tatsache, dass ich zuhause Bücherwürmer in einem Terrarium hielt und ihnen – so oft ich welche in Büchern fand – das Leben rettete, auch wenn Bücherwürmer die schrecklichste Plage in jeder Bibliothek waren.

Ich erinnere mich an jenen Tag, als ich hinter dem Scheibenwischer meines Autos eine Löwenzahnblüte stecken hatte, was mich unheimlich freute, weil ich genau wusste, dass sie von jemandem kam, der nur sehr zurückhaltend in derlei Dingen ist und was mich trotzdem freute, auch wenn ich gegen Löwenzahn eigentlich allergisch reagiere, und ich freute mich sogar dann noch, als ich als Draufgabe beim Heimkommen meinen im Trampolin verunfallten Sohn in Empfang nahm, ihn ins Krankenhaus brachte und wir dort eine Nacht zur Überwachung blieben.

Ich erinnere mich an jenen Tag im Dezember, als ich den Christbaum selbst aus dem Wald schleppte und ihn allein daheim schmückte, denn meine Lieben, die sich in anderen Jahren darum kümmerten, lagen alle krank mit Grippe darnieder und vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, ihnen heiße Suppe zu kochen, aber Weihnachten ohne Baum ging ja schließlich auch nicht, auch wenn ich später nicht zu sagen wusste, ob die glänzenden Augen vom Fieber oder von der Freude stammten.

Ich erinnere mich an jenen Winterabend, als ich mit meiner Freundin in ihrem Auto auf den Kahlenberg bei Wien fuhr, wo sie am verschneiten und beinahe leeren Parkplatz ausprobieren wollte, wie man am besten mit der Handbremse bremst und dabei Kurven fährt. So fuhren wir wie die Verrückten im Kreis um eine Laterne mit einem einsamen Auto darunter, in dem sich irgendwann ein Pärchen hinter den Fenstern aufrichtete, was uns beide sehr erheiterte, aber den anderen zweien müssen wir einen furchtbaren Schrecken eingejagt haben.

Ich erinnere mich, wie ich nach vielen Ausflügen nach Tschechien eines Tages ganz von selbst Tschechisch sprechen konnte, wie, das konnte ich mir gar nicht erklären, aber auf einmal konnte ich das, dabei war mein aktiver Wortschatz bisher kaum über „Guten Tag!“ und „Danke!“ und „Bitte!“ und „Trottel!“ hinausgegangen.

 

4 Gedanken zu “AnthoAlice – #2/Erinnerungen.

  1. Pingback: Die Welt in unseren Gedanken. | vro jongliert

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