Rosalinds Puppenwerdung.

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Die Muse und Heinzelfrau Rosalind sitzen sonntags im Wintergarten und stecken die Köpfe zusammen. Weil ich da nämlich nebenbei an einer neuen Strickpuppe werkle. Der Schweinehund war nur kurz da und hat gemeckert, das es nach Schaf stinkt. Dann hat er sich wieder getrollt. Er muss chillen. Mein Jüngerer ist so begeistert vom Schweinehund, dass er stundenlang mit ihm gespielt hat. Vor lauter Herumwirbeln ist ihm schon ganz schlecht geworden. Und das liebe Kind will natürlich auch so eine Strickpuppe.

Rosalind ist empört: „Da ist nirgends ein stinkendes Schaf! Das sind meine Haare. Also die Haare, die ich gerade bekomme. Und die riechen total fein nach Wolle. Da stinkt nix!“

„Also ein wenig streng riechen die jetzt schon“, wagt die Muse einzuwerfen.

„Ach habt euch nicht so!“, beruhige ich, „Die Haare der Muse sind auch aus Schafwolle und riechen auch nicht streng! Einmal durchwaschen mit Shampoo und die Sache hat sich.“

Ich bin den halben Samstagnachmittag beim Spinnrad gesessen und habe Wolle gesponnen. Weiße Fasern von ostfriesischen Milchschafen, schwarz  und braun vom Bergschaf, grau vom Schwarzkopfschaf und ein wenig kaffeebraunes Alpaka. Weiß und grau überwiegen. Alles relativ grobe Fasern, wo ich nicht so recht weiß, wofür ich sie sonst verwenden soll. Für derlei Projekte sind sie ideal. Heinzelfrau Rosalind ist nicht mehr so jung und da darf sie schon weiße und graue Haare haben. Zöpfe soll sie bekommen. Aber zu jenem Zeitpunkt spinne ich ja noch. Eine  Spule halbvoll und gemischt, eine andere halbvoll in grau, danach miteinander auf eine dritte Spule verzwirnen. Ich verzichte auf die Haspel, wo ich durch Abzählen der gewickelten Runden die Lauflänge bestimmen könnte. Ich wickle gleich auf ein Knäuel.

Am Samstagabend bei Fluch der Karibik 1, den ich mittlerweile blind mitsprechen kann, wird Rosalinds Alter Ego fertig. Ich stopfe sie voll mit Faserbällchen aus Kunstfaser. Dann liegt sie da mit ihrem Glatzkopf und in dunkelrotgemusterten Strumpfhosen. Dafür hat sie schon ein hellblaues erstes Kleid. Fürs Kleid brauchte es nur ein Nadelspiel und ein Knäuel Wolle. Das war weniger Aufwand als Haare einknüpfen, wenn ich mich so wenig wie möglich von der Couch weg bewegen will.

Einen kleinen Bauch habe ich ihr gestrickt. Weniger Bauch als ich wollte. Aber mehr als ihn die Muse hat. Die ist flach wie ein Brett. Rosalind hat auch keine kurzen Beine. Und sie ist mitnichten eine ältere Frau mit grauen hochgesteckten Zöpfen. Irgendwie werden die Strickpuppen immer anders, als ich sie mir ursprünglich vorgestellt habe. Als hätten sie ihren ganz eigenen Willen. Denn am Ende sehe ich sie an und mag sie genauso, wie sie sind.

„Hey, Frau Vro! Ich brauche noch Schuhe. Aber nicht so roten Schnickschnack wie ihn die Muse an den Füssen trägt. Irgendwas Praktisches bitte! Und eine Jacke wäre auch ein Hit. Wenn ich dann im Frühling im Garten zu werkeln anfange, ist es oft noch ziemlich frisch.“

Die Muse verdreht die Augen, weil die Heinzelfrau sich so aufspielt. Dabei ist sie ja nur verstimmt, weil sie mal nicht im Mittelpunkt steht. Aus den Untiefen ihres Kleiderschranks hat sie einen roten Hut hervorgekramt und posiert vor uns.

Der Schweinehund und der Lebens-Ernst sehen sie entgeistert an. Während der Lebens-Ernst noch nach Worten sucht, prustet der Schweinehund los und hält sich die Pfoten vor die Augen: „Bitte! Bitteeeee! Tu den Hut weg. Der ist grausam. Damit siehst du total schei…“

Der Ernst unterbricht ihn gerade noch. „Überleg dir, was du jetzt sagst! In diesem Haus leben Kinder.“ Der Schweinehund scheint zu überlegen, ob er das Fäkalwort buchstabieren soll. Dann entscheidet er sich anders und probiert es sanfter. „Muse, damit siehst du 20 Jahre älter aus. Der Hut steht dir nicht!“ Die 20 Jahre tun umgehend ihre Wirkung. Blitzartig verschwindet der Hut wieder vom Kopf der Muse.

Ich gebe dem Ernst einen Wink zur Muse. Er versteht mich sofort. „Komm, Muse, erzähl mir einen Schwank aus deinem Leben! Wir machen uns Tee und spielen eine Runde Karten!“ Der Schweinehund ist begeistert und zu dritt trollen sie sich. Es ist ziemlich mühsam, wenn die Muse nicht genug Beachtung hat. Jetzt sind Rosalind und ich allein. Endlich kann ich ihr den zweiten Zopf einknüpfen.

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Rosalind freut sich schon, wenn ihr Alter Ego fertig ist. Aber vorher, so fürchte ich, wird sie noch eine intensive Spielrunde mit meinem jüngeren Kind durchhalten müssen. Er ist immer sehr begeistert, wenn ich etwas Neues fertig habe. Der arme Schweinehund hatte gerade seine neue Latzhose probiert und freute sich auf einen ruhigen Nachmittag mit Keksen. Stattdessen musste er mit einem Buntstift inklusive Faden als Angelrute in einem Kokosnussschalenboot auf einer blauen Decke als See Fische fangen. Er musste alle Familienmitglieder auf beide Wangen küssen, sogar den stacheligen Dreitagesbart vom Mann von Frau Vro. Und dann wäre er fast ertrunken und der Plüschhund Wuffi hat ihn mit dem Maul herausgefischt. Nur zuletzt mit der Muse in der Hollywood-Schaukel sitzen, das hat er gemocht.

Und während ich Faden um Faden einknüpfe, wappnet sich Rosalind für die Prüfung, die auf sie zukommt.

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